Mittwoch, 4. März 2015

Johannes der Täufer, das Gesetz und die Sünde


1) Markus´ Erzählung von der Enthauptung Johannes des Täufers ist weltberühmt und vielfach von Malern, Schriftstellern und Musikern interpretiert worden. In der Regel richtet sich die Aufmerksamkeit des Lesers in dieser Szene auf die von Markus „gemalte Blume des Bösen und Makabren“. So auch die des ehrwürdigen Lohmeyer, der zur sprachlichen Gestaltung treffende Worte gefunden hat: 

A. Tiarini: Der Täufer und Herodes (Mk 6:20 "... wenn er
ihn hörte, wurde er verlegen; doch hörte er ihn gerne.
")

"Die Sprache ... ist sparsam bis zum Äußersten, schildert nicht farbig und im Einzelnen die Gegensätze, die hier ineinander greifen, verschweigt auch fast alle seelischen Motive; sie erzählt unbestechlich und gleichsam teilnahmslos. Die Erzählung nimmt für keinen Partei, weder für den Täufer noch gegen den Fürsten, höchstens vielleicht für (!) die Fürstin. Denn dass sie gegen alle Widerstände ihren Plan durchsetzt, mit List und Brutalität und Rücksichtslosigkeit gegen die eigene Tochter, das ist der Geschichte wahrer Inhalt; aber sie verurteilt auch die Fürstin nicht."

In der Tat ist diese Szene im Markusevangelium ohne Rührung dargestellt. Das „Auftragen“ des abgeschlagenen Täuferkopfes auf einem Tablett beim Festmahl von Herodes hat dann auch schon bei einem Kommentator die zynische Rückfrage ausgelöst, wie denn wohl serviert worden sei. Etwa mit einer Portion Pommes? Beim zweiten Lesen der Geschichte bemerkt man zudem, dass Markus auf anscheinende Nebensächlichkeiten Gewicht legt. Er zitiert etwa mehrmals aus dem Buch Esther und stellt das wiederholte Hinein- und Hinausgehen der tanzenden Tochter heraus, was den provozierenden Eindruck erweckt, dass es Markus wesentlich wichtiger war, die Abwesenheit der Frauen beim Festmahl der Männergesellschaft zu betonen, als Mitgefühl mit dem Täufer zu zeigen und Partei gegen die tödliche Intrige zu ergreifen.

Warum also ist der kühle Markus sogar hier im Angesicht des Makabren so kalt und distanziert?


2) Eine Antwort auf diese Frage ergibt sich meines Erachtens, wenn man in dieser Geschichte nicht zuerst auf „Sex and Crime“ achtet, sondern sie „von den Rändern her“ liest. Die Auseinandersetzung beginnt mit der Zurechtweisung des Herodes durch den Täufer in Mk 6:18:

Gesagt hatte nämlich der Johannes dem Herodes: 'Nicht erlaubt ist (Οὐκ ἔξεστίν) Dir, zu haben die Frau Deines Bruders.'

Nun gibt es keinen ernsthaften Bibelwissenschaftler, der diese Stelle nicht bemerkt hätte und nicht ausdrücklich darauf hinweist, dass Johannes sich in seiner Kritik an Herodes offenbar auf 3. Mose 18,16 beruft: „Du sollst mit der Frau deines Bruders nicht (geschlechtlichen) Umgang haben; denn damit schändest du deinen Bruder.

Bei einer knappen Recherche konnte ich jedoch keinen Exegeten finden, der die Bedeutung dieser Aussage erkannt hätte. Johannes argumentiert hier nämlich in der Art und Weise der Pharisäer, der Gegner von Jesus. Er beruft sich gegenüber Herodes auf das „Gesetz“.

Zum Streit um das „Gesetz“ zwischen den Pharisäern und Jesus finden wir im Markusevangelium vier Stellen: das Ährenraufen am Sabbat (Mk 2,23ff), die Heilung der vertrockneten Hand am Sabbat (Mk 3,1ff), die Frage nach der Ehescheidung (Mk 10,1ff) sowie die Frage nach der Steuer (Mk 12,13ff). In diesen Szenen finden wir jeweils die Phrase des „Erlaubten“ bzw. „Rechtmäßigen“ (ἔξεστιν). In der nachfolgenden Übersicht zunächst die Aussagen der Pharisäer:

Mk 2,24 „Und die Pharisäer sagten ihm: 'Sieh doch, was sie tun am Sabbat, was nicht erlaubt ist (οὐκ ἔξεστιν)?"

Mk 10,2 „Und hinzugekommen die Pharisäer fragten ihn 'Ist es erlaubt (ἔξεστιν) einem Mann, seine Frau zu entlassen' - ihn versuchend.

Mk 12,14: „Ist es erlaubt (ἔξεστιν), zu geben Steuer dem Kaiser oder nicht?

Schließlich Jesus' Rückfrage in Mk 3,6: „Und er sagt ihnen: 'Ist es erlaubt (Ἔξεστιν), am Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun, Leben zu retten oder zu töten?' Sie aber schwiegen.


3) Aus der Debatte um die Ehescheidung ist erkennbar, dass Jesus anders argumentiert. Er beruft sich nicht auf das „Gesetz“ (Mk 10,3ff):

Er aber, antwortend, sagte ihnen: Was hat euch Mose befohlen? Sie aber sagten: Mose hat gestattet, einen Scheidebrief zu schreiben und zu entlassen. Jesus aber sagte ihnen: Wegen eurer Herzenshärte hat er euch dieses Gebot geschrieben; aber von Anfang der Schöpfung an hat er sie geschaffen als männlich und weiblich. Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und wird an seiner Frau hängen, und die zwei werden ein Fleisch sein. So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen.

Der markinische Jesus argumentiert gemäß der Logik der “Schöpfung Gottes“. Er verpflichtet auf das, was man im Blick auf Paulus Schöpfungsethik genannt hat.

Ebenso in Mk 2,27: „Der Sabbat wegen des Menschen wurde geschaffen und nicht der Mensch wegen des Sabbats.“ Schließlich findet in Mk 3,1ff entgegen dem Sabbatgebot die „Neuschöpfung“ der Hand statt.

Bemerkenswerter Weise erscheinen Herodes und die Herodianer im Markusevangelium nie ohne die Pharisäer bzw. in der vorliegenden Szene eben mit dem in der Art der Pharisäer argumentierenden Täufer.

Neben der Szene der Heilung der vertrockneten Hand am Sabbat (Mk 3,1ff) und der Frage nach der Steuer (Mk 12,13ff) ist es die Warnung vor dem Sauerteig der Pharisäer und des Herodes in Mk 8,15: „Und er gebot ihnen, sagend: Seht zu und schaut euch vor vor dem Sauerteig der Pharisäer und vor dem Sauerteig des Herodes.

Die Frage taucht hier auf, wieso Herodes und die Herodianer im Markusevangelium ständig gemeinsame Sache mit den Pharisäern machen. Was haben die personifizierten Sünder mit den personifizierten strengen Gesetzeslehrern zu tun?


4) Ein Blick auf die Beziehung zwischen dem Täufer und Herodes:

Johannes hat Herodes Gesetzesbruch vorgeworfen, deshalb hat Herodes den Täufer im Gefängnis festgesetzt (eine schöne Rechtsverdrehung!). Entgegen der Version von Matthäus ist Herodes jedoch nicht am Tod von Johannes interessiert. Ganz im Gegenteil beschützt er ihn sogar vor den Mordplänen der Herodias. Die Beziehung ist nach der Gefangennahme des Täufers wie folgt beschrieben:

Mk 6,20: „denn Herodes fürchtete Johannes, erkennend ihn als einen gerechten und heiligen Mann, und beschützte ihn, und gehört habend ihn, war er viel verlegen, und gerne ihn hörte er.

Herodes und der Täufer sprechen also mehrfach miteinander (anders Jesus gegenüber seinen Richtern), die Aussagen des Täufers bereiten dem Sünder Herodes zwar viel Verlegenheit, gleichwohl „hört er ihn gerne“.

Das griechische Wort für „gern“ lautet hier: ἡδέως (hēdeōs), dass man aus dem Fremdwort „hedonistisch“ kennt. Es bedeutet vordergründig „süß“ und hat die weiteren Bedeutungen von erfreuend, lieblich, womit meist ein „sinnlicher“ Genuss gemeint ist. In der antiken Literatur wird in Bezug auf das Hören häufig ein Gesang als ἡδέως (hēdeōs) im Sinne von „süß“ und „lieblich“ beschrieben.

Beim Hören von Johannes plagt den Sünder Herodes also einerseits das schlechte Gewissen wegen seiner Gesetzesübertretungen, andererseits weidet er sich behaglich daran. Verbotene Früchte sind eben die süßesten!


5) Der kundige Paulus-Leser weiß natürlich bereits seit der Überschrift, worauf ich hinaus will.

Nämlich auf Römer 7:5 („Denn solange wir dem Fleisch verfallen waren, da waren die sündigen Leidenschaften, die durchs Gesetz erregt wurden, kräftig in unsern Gliedern, sodass wir dem Tode Frucht brachten.“) und den 1. Korinther 15:56 („Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz.“).

Markus geht es in der vorliegenden Erzählung anscheinend ebenfalls um die „Erregung der Sünde“ durch das Gesetz und das „Fruchtbringen dem Tod“. Das „Gesetz“ ist auch für ihn die „Kraft der Sünde“.

Es sollte also nicht verwundern, dass Markus die herodianischen Sünder stets mit den pharisäischen Gesetzeslehrern im Doppelpack darstellt und ihn auch die makabre „Frucht des Todes“ auf dem Festmahl des Herodes recht kühl lässt.

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