Dienstag, 24. Februar 2015

Ave Maria


1) Zwischen Simon von Kyrene, Vater von Alexander und Rufus, (Mk 15,21) und einer anderen Person des Markusevangeliums, der Maria, Mutter von Jakobus dem Kleinen und Joses (Mk 15,40; 15,47; 16,1), besteht eine Gemeinsamkeit: Es sind Menschen, die uns im Schlussteil des Evangeliums begegnen und die durch die Namen ihrer Kinder näher charakterisiert sind

Mk 15,40: Maria, Mutter von Jakobus
und Joses. Und von Jesus?
Beide bilden damit anscheinend einen Gegensatz zu anderen Akteuren, die am Beginn des Evangeliums standen und lange Zeit dominierten. Es waren Söhne, die durch ihre Väter definiert waren, vor allem Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, (Mk 1,19-20; 3,17; 10,35), Levi, der Sohn des Alphäus (Mk 2,14) sowie Jakobus, der Sohn des Alphäus (Mk 3,18).

Im Abschnitt zwischen den „Vaterssöhnen“ und den „Kindereltern“ (von Mk 10,35 bis Mk 15,21) finden wir Personen, deren familiärer Status ein wenig schillert und etwas Zweideutiges an sich hat. Es sind der Sohn des Timäus, Bartimäus (Bar-Timäus ist übersetzt zugleich: Sohn des Timäus - Mk 10,46) und Barabbas (Bar-Abbas übersetzt: Sohn des Vaters – Mk 15,7.15). Im ersten Fall ist das Vaterschaftsverhältnis zugleich der Name, im zweiten Fall bezeichnet der Name zugleich ein Vaterschaftsverhältnis. In diese Richtung weist auch die Diskussion um die Davidssohnschaft des Christus in Mk 12,35-37 (Ist der Christus der Sohn von David oder sein Herr? Definiert sich der Christus durch „seinen“ Vater David oder ist es nicht sogar David selbst, der in Psalm 110 seine eigene Person durch den Christus als seinen Herrn definiert?)

2) In der Welt das Markusevangeliums ist es nicht leicht, eine Frau zu sein und zugleich einen Namen zu haben. Zwar begegnen uns von Beginn des Evangeliums an Frauen, sie sind zunächst jedoch alle namenlos.

Frauennamen tauchen nur an zwei Stellen des Markusevangeliums auf. In einigen Versen des 6. Kapitels und in den letzten 16 Versen zwischen Mk 15,40 und Mk 16,8. Zunächst wird 4 Mal der Name einer Frau genannt, in den letzten 16 Versen hingegen insgesamt 8 Mal, jeweils unter Einbeziehung der Wiederholungen.

Der erste Frauenname im Markusevangelium findet sich in Mk 6,3. Es ist der Name der Mutter von Jesus: Maria. In diesem Vers geht es jedoch nicht um sie selbst, sondern nur um Jesus, der von den Synagogenbesuchern seiner Vaterstadt (der „Patris“) als „Sohn der Maria“ und „Bruder des Jakobus und Joses und Judas und Simon“ definiert wird. Deutlich ist, dass seine Schwestern – wohl im Gegensatz zu Mutter und Brüdern - anwesend sind (Mk 6,5: „Sind nicht auch seine Schwestern hier bei uns?“), die jedoch namentlich nicht genannt werden und durch die Jesus auch nicht definiert wird. Maria erscheint nur in Mk 3,31 und zwar „draußen“ und ohne Namensnennung. Sie wird von Markus nur als „seine Mutter“ bezeichnet.

Der zweite und dritte Frauenname ist der der Ehegattin des Herodes in Mk 6,17: Herodias. Er wird in Mk 6,19 wiederholt.

Der letzte Name in Mk 6,22 ist ebenfalls Herodias, aber es ist textlich schwierig zu entscheiden, ob damit die Gattin von Herodes oder die Tochter gemeint ist. Während die weit überwiegende Mehrzahl der Handschriften die Lesart „τῆς θυγατρὸς αὐτῆς τῆς Ἡρῳδιάδος“ (die Tochter ihre der Herodias) enthält, sprechen u.a. die zwei wichtigsten Handschriften (Codex Sinaiticus und Codex Vaticanus) für eine problematischere Lesart: „τῆς θυγατρὸς αὐτοῦ Ἡρῳδιάδος“ (die Tochter seine Herodias). Im ersten Fall wäre das Mädchen die „namenlose Tochter der Herodias“, im zweiten Fall die „Tochter des Herodes, die ebenfalls Herodias heißt“. Es sind jedenfalls - auf der Ebene der Erzählung und jenseits der Historie - Frauen, die die weibliche Form des Mannesnamens tragen.

3) Erstmals taucht Maria in einer kurzen Erzählung auf, die Markus ziemlich „spannend“ gestaltet hat. In Mk 3,21 erfährt man, dass „die 'von ihm' ausgehen, um ihn zu ergreifen. Sie sagten nämlich, dass er außer sich ist“. (Das griechische Wort κρατῆσαι für „ergreifen“ ist das gleiche, dass Markus u.a. für die Gefangennahme Johannes des Täufers in Mk 6,17 sowie für die geplante und erfolgte Gefangennahme von Jesus in Mk 12,12; 14,1.44.46.49 verwendet. An anderen Stellen hat es die normale Bedeutung von „ergreifen“ und „halten“, so dass man es durchgehend in dieser Bedeutung verstehen sollte.)

Man weiß an dieser Stelle noch nicht, welche Personen mit der Bezeichnung „die von ihm“ gemeint sind. Die Geschichte blendet dann auf die von Jerusalem herabgekommenen Schriftgelehrten, die Jesus bezichtigen, mit dem Teufel im Bunde zu sein und einen unreinen Geist zu haben. In Mk 3,31 kommen dann seine Mutter und seine Brüder (nach Codex Sinaiticus und Codex Vaticanus aber nicht seine Schwestern) und man kann sie nunmehr mit jenen „von ihm“, die in Mk 3,21 ausgegangen waren, identifizieren. Sie betreten nicht das Haus, sondern „stehen draußen“ und „senden zu ihm, ihn rufend“.

Jesus folgt jedoch nicht dem Ruf seiner „biologischen“ Familie, sondern benennt in Mk 3,34-35 diejenigen, die um „ihn herum sitzen“ und „die den Willen Gottes tun“ als „mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter“, die neue Familie Gottes. Mutter und Sohn begegnen sich nicht.

Meines Erachtens sprechen gute Gründe dafür, dass es nicht Maria und die Brüder von Jesus sind, die sagen: „Er ist außer sich“ (verrückt, von Sinnen), sondern dass mit „sie“ die „Leute“ im allgemeinen gemeint sind, deren Meinungen auch in Mk 6,14-15 sowie in Mk 8,27-28 geschildert werden. Das Griechische verwendet für das unpersönliche „man“ die 3. Person Plural.

4) Auch bei Jesus' Gegenbesuch in der Vaterstadt (Mk 6,1ff) scheinen sich Maria und Jesus nicht zu begegnen. Während die Schwestern von Jesus als in der Synagoge anwesend bezeichnet werden (Mk 6,3), dient die Erwähnung von Beruf, Mutter und Brüdern nur der Charakterisierung von Jesus durch die anwesenden Synagogenbesucher. Mk 6,4: „Und zu ihnen der Jesus sagte, dass nicht ist ein Prophet ungeehrt (ἄτιμος - atimos), wenn nicht in seiner Heimat und bei seinen Angehörigen und in seinem Haus.

Der Konflikt zwischen Jesus und seiner „biologischen“ Familie im Markusevangelium scheint ein Ehrenkonflikt zu sein, in dem die Familienehre und die Ehre des Gottesmannes widerstreiten (Bartimäus – der Sohn des Timäus [Timäus übersetzt Ehrenhafte] würde hier sicher zustimmen). Die Mama und die Brüder scheinen in Mk 3,21.31ff „nur“ zum Schutz der Familienehre Jesus ergreifen und in „Gewahrsam“ nehmen zu wollen.

5) War´s das mit Maria im Markusevangelium?

Torsten Reiprich hat in seinem 2008 erschienenen schönen BuchDas Mariageheimnis: Maria von Nazareth und die Bedeutung familiärer Beziehungen im Markusevangelium“ dafür plädiert, in jener in Mk 15,40; 15,47 und 16,1 genannten Maria, der Mutter von Jakobus dem Kleinen und Joses, die Mutter von Jesus wiederzuerkennen.

Reiprichs Buch ist meines Erachtens vor allem deshalb bewundernswert, weil es die Bedeutung von Familienbeziehungen im Markusevangelium hervorhebt und den Konflikt zwischen der von Jesus in Mk 3,34-35 ins Leben gerufenen „familia Dei“ und der traditionellen antiken Familie mit ihren starken Ehrbegriffen sowie ihren sozialen und ökonomischen Verflechtungen nachzeichnet.

Wie steht es mit Reiprichs Schlussfolgerung? Ist die Mutter von Jesus nun jene Maria, die Maria des Jakobus des Kleinen und Joses´ Mutter? Seit dem Kirchenvater Hieronymus lautet die lärmende Antwort auf diese Frage: Pustekuchen! Das ist doch schlicht unmöglich, sonst hätte Markus doch die Gottesmutter als solche bezeichnet!

Reiprich macht dagegen einen schönen Fall, dass genau diese Erwartung von Hieronymus unmöglich ist. Nach der markinischen Logik wäre es ausgeschlossen, dass Maria – falls sie es ist - als Mitglied der alten antiken „biologischen“ Familie erscheint. Sie kann nur noch als neues Mitglied der markinischen „familia Dei“ bei der Kreuzigung auftreten. In Mk 6,3ff war es Jesus, der durch seine Mutter und seine Brüder charakterisiert wurde, jetzt ist es Maria, die durch zwei ihrer Kinder (Jakobus und Joses) neu definiert ist.

Nach Mk 15,40 sind Maria, die Magdalenerin, Maria, die des Jakobus und Joses´ Mutter, sowie Salome von Galiläa aus Jesus nachgefolgt. Es sind Galiläerinnen. Was bei Simon von Kyrene noch zweifelhaft war, kann von diesen Frauen mit Sicherheit gesagt werden: Sie haben die Bedingungen aus Mk 10,29-30 erfüllt („Amen, ich sage euch: Es gibt niemanden, der Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Felder wegen mir und wegen des Evangeliums zurückgelassen hat, der nicht das Hundertfache bekommen wird: jetzt, in dieser Zeit, Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Felder …“). Es wäre daher nicht erstaunlich, Maria hier in einer neuen Rolle und mit neuen Schwestern vorzufinden.

Auch der Evangelist Johannes scheint Markus so zu verstanden zu haben, denn er greift in Joh 19,26-27 das gleiche Thema in „seiner“ Kreuzigungsszene auf: „Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.

Ist das nun ein „Happy End“ für die markinische Maria? Wohl nicht wirklich, wie Mk 16,8 zeigt, aber jedenfalls ein wesentlich besseres und versöhnlicheres.


P.S.: In Ergänzung zu Reiprich meine ich freilich, dass wer A sagt, auch B sagen muss. In Maria, Mutter des Jakobus und Joses, die Mutter Jesu zu sehen, mag gar nicht so schwer fallen. Aber die gleiche Logik gebietet natürlich, eine andere weibliche Gestalt aus Kapitel 6 mit Salome zu identifizieren. Markus hätte der Vaterstochter aus Mk 6,22 nun in Mk 15,40 und 16,1 ihren – auch historisch richtigen - Namen beigelegt. Das Wortspiel, die Wandlung von der „Kriegerischen“ (Herodias) zur Friedvollen (Salome), hätte ihm zweifelsfrei zugesagt. Leicht fällt diese Schlussfolgerung aber gewiss nicht.

(Joe Wallack verdanke ich den Hinweis auf den Wechsel in der Personencharakterisierung im Markusevangelium von den "Vaterssöhnen" zu den "Kindereltern")

1 Kommentar:

  1. Danke für den Beitrag und das Lob ;-)
    Die Salomo-These ist spannend.
    Ich sage mal so: Bei Markus ist alles denkbar, weil alles hat seine Bedeutung. (Hinter die wie so schwer kommen)

    Torsten Reiprich

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