Montag, 30. Dezember 2013

Die Geheimnisse des Messias im Auge William Wredes


Teil 9 - Der Sinn des Geheimnisses

Was ist nun der Sinn der jesuanischen Geheimniskrämerei im Markusevangelium? Können wir annehmen, dass Jesus sich selbst und sein Wirken so gut wie möglich verhüllt hat oder ist es lediglich die Absicht des Evangelisten Markus, Jesus als einen verborgenen Christus/Messias darzustellen?

Ich gehe weiter und behaupte: ein geschichtliches Motiv kommt wirklich gar nicht in Frage; positiv: die Idee des Messiasgeheimnisses ist eine theologische Vorstellung.

 „Eine verhältnismässig wenig beachtete Stelle liefert den Schlüssel für die Anschauung. ... Es ist der Befehl, den Jesus nach der Verklärung erteilt (Mk 9, 9): 'Und als sie vom Berge herabstiegen, befahl er ihnen, niemand zu erzählen, was sie gesehn, ausser wenn der Sohn des Menschen von den Toten erstanden wäre.'

Erfassen wir nur herzhaft den Gedanken, auf den uns die Sache führt. Es ergiebt sich: während seines Erdenlebens ist Jesu Messianität überhaupt Geheimnis und soll es sein; niemand - ausser den Vertrauten Jesu – soll von ihr erfahren; mit der Auferstehung aber erfolgt die Entschleierung. Dies ist in der That der entscheidende Gedanke, die Pointe der ganzen Auffassung des Markus.

Niemand, der die Meinung hat, dass Jesus sich für den Messias gehalten habe, wird glauben, dass er Zeit seines Lebens als solcher nur den Jüngern bekannt geworden sei - schon weil dann seine Verurteilung mit der Messianität nichts mehr zu thun hätte. Sollen aber unvorsichtige und schwatzhafte Jünger das Geheimnis ausgeplaudert haben, oder soll es durch 'Eindrücke von Jesu Wirken' erraten sein, so bleibt es jedenfalls ein Rätsel, wie er überhaupt dauernde Verborgenheit wollen konnte. Im Übrigen sagt das 'bis zur Auferstehung' schon deutlich genug, dass es sich hier um Anschauung, nicht um Geschichte handelt.

Ich nannte den Gedanken des Markus einen theologischen Gedanken, um damit auszudrücken, dass er nicht den Charakter einer geschichtlichen, - gleichgültig ob einer geschichtlich richtigen oder nur aus der Geschichte gedachten — Vorstellung besitzt. Die theologische Art des Gedankens wird aber erst ganz klar, wenn wir fragen, wie Markus sich das eigentliche Objekt der Geheimhaltung gedacht hat. Die kürzeste und für uns wichtigste Antwort lautet: es ist durchaus supranatural gedacht.

Gleich in seinem Anfange haben wir die hervorragend bedeutungsvolle und sehr klare Erzählung von der Taufe Jesu … Markus hat nicht den geringsten Zweifel gelassen, dass er sich den Vorgang genau so objektiv denkt wie irgend ein andrer Evangelist … Im Fortgang der Erzählung kommt es gerade darauf an, dass Jesus den Geist wirklich erhalten hat … Folglich muss zuvor geschildert sein …, dass der Geist objektiv aus dem Himmel auf ihn herabgefahren ist ... Zweitens … die Stimme erscholl wirklich, nämlich aus dem geöffneten Himmel.

Demnach empfängt Jesus bei der Taufe objektiv den Geist, und dass der Geist nicht 'sittliche Antriebe, Kräfte' u. dgl. bedeutet, dass er eine schlechthin supranaturale Grösse ist, braucht nicht bewiesen zu werden. Wenn die Stimme von oben Jesus dann aber als den 'Sohn Gottes' bezeugt, so ... ist (das) die adäquate Bezeichnung des übernatürlichen Wesens Jesu, das durch den Empfang des Geistes entstanden ist.

Dem grundlegenden Datum der Taufe Jesu entspricht die weitere Erzählung. In der Wüste hat der Gottessohn eine persönliche Begegnung mit dem Teufel ... Sein Leben ist erfüllt von dem Kampfe mit den teuflischen Mächten. Leibhaftig sozusagen trifft Jesus mit ihnen zusammen, wie es eben nur für Jemand möglich ist, der nicht 'Mensch', sondern übernatürliches Wesen ist. ... Mit der Schilderung der Wunderkraft ist es nicht anders. Diese Wunder thut der Gottessohn, in Kraft des Geistes. Bei der Verklärung erschallt dann noch einmal ein göttliches Zeugnis über ihn. Dies Zeugnis kann in der That nur Gott geben. Menschliche Einsicht reicht nicht zu dieser Erkenntnis hinan.

Das Evangelium bestätigt das durch zwei bemerkenswerte Stellen, einmal gerade durch den Bericht vom Verhör vor dem Hohenpriester, sodann durch das Wort des Centurio unter dem Kreuze.

In der Bejahung seiner Frage, ob Jesus der Christus, der Sohn des Hochgelobten sei, sieht der Hohepriester Gotteslästerung und damit das todeswürdige Verbrechen … Nun ist nach jüdischem Rechte der Thatbestand … einer Blasphemie, die mit Steinigung zu ahnden ist, ... nur dann gegeben, wenn wirklich eine Verwünschung oder Schmähung des Namens Gottes ausgesprochen wird. Also ist die blosse Behauptung der Messianität nach jüdischen Begriffen noch gar keine Gotteslästerung. Ebensowenig versteht man aber auch, wie ein christlicher Autor, wenn er nur an den jüdischen Begriff des Messias dachte - der Messias ist doch für den Juden kein göttliches Wesen -, hier eine Gotteslästerung finden konnte. Dagegen wird alles klar, wenn Markus die Bezeichnung 'Gottessohn' supranatural und metaphysisch gemeint hat. Dann lag in dem Anspruche Jesu eine Beeinträchtigung der göttlichen Ehre, eine lästerliche Gleichstellung mit Gott.

Über das Bekenntnis des (heidnischen) Hauptmanns … Markus muss hier meinen, dass der Hauptmann etwas Wunderbares wahrnahm, das ihn zu seinem Bekenntnis zwang. Die Art und Weise des Sterbens überwältigt ihn … Man sollte aber nicht sagen, der Hauptmann erkenne in Jesus einen Göttersohn oder Heros … will Markus offenbar gerade sagen: dieser Hauptmann muss unter der Gewalt der Thatsachen die Wahrheit des christlichen Glaubens von Jesus anerkennen und ihr Zeugnis geben.

Werfen wir hier einen Blick auf das Petrusbekenntnis … Markus nun hat hier lediglich die nackte Bekenntnisaussage: 'Du bist der Messias.' … Petrus kann so nur sprechen kraft einer übernatürlich gewirkten Erkenntnis. An anderer Stelle sagt Markus das ja auch selbst. 'Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben worden'. Das Geheimnis kann immer nur 'gegeben' werden."

Es ist noch eins hinzuzufügen. Auch die Lehre Jesu nimmt an dem übermenschlichen Charakter der Person Teil. … Etwas Verwandtes hegt aber auch vor, wenn der Evangelist bemerkt (Mk 1, 22): 'er lehrte sie wie ein Inhaber von Gewalt und nicht wie die Schriftgelehrten.' … Weil sie die Offenbarung einer solchen göttlichen Macht ist, wirkt seine Predigt auf das Volk wie etwas Unerhörtes … in diesem Sinne betrachtet es die Lehre und die Macht über die unreinen Geister als Ausfluss einer und derselben Gewalt; in diesem Sinne sagt Markus, dass man vor Staunen ausser sich war über sein Lehren. Charakteristisch ist dabei, dass Markus den Inhalt der Lehre unbestimmt lässt. Es kommt ihm hier in der That auf den Inhalt nicht an.

Ich frage zuletzt, was für Dinge im Einzelnen als Inhalt des Geheimnisses oder deutlicher als Gegenstand der Geheimhaltung gedacht sind. …

Geheimnis ist zunächst die Messianität oder die Gottessohnschaft Jesu.

Geheimnis ist das Wunderwirken, das das Kennzeichen der Messianität ist und diese verraten würde.

Geheimnis ist die ganze Lehre Jesu, weil sie der Menge ganz verborgen wird.

Geheimnis ist der Sinn der Parabeln im Speziellen, da er nur den Jüngern erschlossen wird und auch ihnen nicht ohne Deutung.

Geheimnis ist in ausgezeichnetem Sinne auch die Notwendigkeit des Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu.


Das ergiebt sich bereits aus einer der bisher betrachteten Stellen. Markus sagt (Mk 9, 30), dass Jesus zuletzt in Galilaea seine Anwesenheit verbergen wollte, und fügt hinzu: denn er lehrte seine Jünger und sprach zu ihnen: des Menschen Sohn wird in der Menschen Hände überliefert, und sie werden ihn töten, und getötet wird er nach drei Tagen auferstehen.

Will Jesus aber verborgen bleiben, wie Markus doch sagt, weil er diese Lehre mitteilt, so liegt die Pointe darin, dass eben diese Lehre auch und in besonderem Sinne 'Geheimnis' ist. Deshalb fordert sie Geheimhaltung, darf keine Zeugen haben. Aus diesem Grunde also ist Jesus auf das Inkognito in Galilaea bedacht. Uns mag dieser Gedanke sehr fremdartig berühren. Denn wir wenden ein: um das Geheimnis des Leidens im engen, vertrauten Kreise zu besprechen, brauchte Jesus ja nur dann und wann sich mit den Jüngern zurückzuziehen … Nichtsdestoweniger ist es der Gedanke des Erzählers: Jesus verbirgt sich in Galilaea, weil er den Jüngern das Geheimnis des Todes und der Auferstehung übermittelt.

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