Freitag, 8. März 2013

Warum sich die Christen für Nero als „Sündenböcke“ eigneten

Teil 1

Etwa 20 Jahre ist es her, dass ich mich etwas vertiefter für die frühe Geschichte des Christentums zu interessieren begann. Anlass hierzu war genau diese Frage. Ich überlegte damals, ob die Christen in den Augen Neros wirklich glaubhafte „Sündenböcke“ für den Brand von Rom im Jahr 64 hätten abgeben können oder ob der auf uns gekommene Bericht des Tacitus nicht eher zweifelhaft ist. In den Annalen 15, 44 heißt es: “Um also dieses Gerücht niederzuschlagen, schob Nero die Schuld auf andere und belegte mit den ausgesuchtesten Strafen jene Menschen, die das Volk wegen ihrer Schandtaten hasste und Christen nannte.“ Mich interessierte damals nicht, ob Nero wirklich den Brand legte, ob die Christen dies taten oder wie auch immer er ausgebrochen war, sondern nur die Frage nach der Tauglichkeit der Christen als „Sündenböcke“.


Die Einwohnerzahl Roms wird für die Mitte des 1. Jahrhunderts in der Regel auf eine Größe von einer halben Million bis zu einer Million geschätzt. In ihr herrschte eine kaum überschaubare relegiöse Vielfalt (Tacitus, Annalen 15,44: „… auch in der Hauptstadt, in die von überallher alle Gräuel und Schändlichkeiten zusammenströmen und Anklang finden.“) Wie konnten zu diesem Zeitpunkt christliche Gruppierungen für die Bevölkerung überhaupt als solche schon wahrnehmbar sein ? Es waren erst ca. 35 Jahre seit Jesus´ Kreuzigung im weit entfernten Jerusalem vergangen. Selbst bei einer optimistischen Schätzung wird man wohl anzunehmen haben, dass die Christen in Rom eine eher kleine Gemeinschaft bildeten, die vom Radar der breiten Öffentlichkeit noch nicht erfasst war. Dass sie äußerlich durch Kleidung oder Aussehen auffällig gewesen wären, ist nicht überliefert. Wie - zum Teufel – konnte also Nero auf die Idee kommen, diese „Nonames“ als Sündenböcke auszuwählen. Genauso gut hätte er ja die Weihnachtsmaus vorschieben können !

Weil, so Tacitus, die Christen beim Volk wegen ihrer Schandtaten (lat.: „flagitia“) verhasst waren. Diese Aussage stellt unser historisches Nachdenken vor Probleme. Entweder unsere Vorstellungen von der Entwicklung des frühen Christentums - insbesondere in Rom - sind grundfalsch oder Tacitus´ Darstellung ist ihrerseits anachronistisch. Was ich im Folgenden hier anreißen möchte, sind die Interpretionen, die Historiker bzw. Gelehrte in den letzten Jahrhunderten zu dieser Stelle gegeben haben. Wie gelang es ihnen, diese Problematik zu meistern ? Dabei lege ich die Echtheit des Tacitusschen Berichts zu Grunde. Anzumerken ist jedoch, dass – wohl entgegen der landläufigen Mehrheitsmeinung - eine durchaus nicht unbeachtliche Anzahl von Gelehrten die Auffassung vertritt, dass es sich bei der betreffenden Darstellung um eine Interpolation handelt. Zur Begründung dieses erwägenswerten Standpunkts verweise ich der Einfachheit halber auf Hermann Detering, der sie freilich nicht einmal erschöpfend behandelt.

Bevor das Vergnügen der gelehrten Disputation anhebt, sollten wir noch einen Moment innehalten und uns einen Eindruck von jener Zeit im Sommer des Jahres 64 verschaffen. Der mehrtägige Brand von Rom stellte zweifellos für die Einwohner ein großes Unglück dar. Nicht wenige starben, andere hatten enge Angehörige oder Freunde als Opfer zu beklagen, die Mehrzahl der Einwohner wurde obdachlos, litt unter Versorgungsengpässen und nachfolgenden Plünderungen, etc. - es war ein verheerendes Trauma ! Erschöpfung, Trauer, Verzweiflung, Hunger, Verdächtigungen und Wut hitzten die Athmosphäre in den Tagen nach dem Brand auf ...


Teil 1 - Einführung
Teil 2 - Waren die Christen wirklich unschuldig ?
Teil 3 - „Sünder und Verbrecher aller Art“
Teil 4 - Sinnliche Schwärmer
Teil 5 - Aufrührer auf dem ganzen Erdkreis
Teil 6 und Ende - Schlussfolgerung

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